Kennen Sie Erdmandeln, Glockenäpfel oder Bamberger Hörnchen? Kennen Sie den Geschmack von gelben Tomaten, Hirschhornwegerich oder Mairüben? Es gibt eine unglaubliche Vielfalt in der Obst- und Gemüsewelt, die darauf wartet, entdeckt und erhalten zu werden. Dagegen gleichen sich die Früchte und Gemüse, die uns im Supermarkt angeboten werden, teilweise auch im Bioladen, immer mehr an. Das Gemüse ist durchweg genormt, und man findet nur noch wenige Sorten, die kaum noch ausgeprägten Geschmack haben. Viele Gemüsesorten, die für die industrielle Landwirtschaft schwierig anzubauen sind, wie Schwarzwurzeln, Gartenmelde und Inkagurke oder bestimmte Kartoffelsorten, sind in den letzten Jahren verschwunden. Nur wenige Saatgut-, Chemie- und teilweise auch Gentechnikkonzerne bestimmen weltweit, was für den Markt angebaut und gehandelt wird. Das gilt zunehmend auch für Biogemüse.
Saatgut ist die Grundlage unserer Ernährung. Konzentration im Lebensmittel- und Saatgutmarkt wird für immer mehr Menschen als Zukunftsproblem angesehen. Sie sind unzufrieden darüber, dass die Vielfalt im Gemüse- und Obstbereich zurückgeht, dass die immer stärker genormten Angebote sich durch einheitliches Aussehen und gute Transporteigenschaften, und nicht durch guten Geschmack auszeichnen.
Das Wissen über Gemüseanbau geht zurück, Gartenbücher enden mit der Ernte für die Küche. Auch in der Ausbildung zum Gärtner ist das Thema Vermehrung nicht mehr präsent.
Immer mehr Menschen wollen das Thema Ernährung nicht mehr der Industrie und dem Handel überlassen und selbst aktiv werden.
Neben der politischen Auseinandersetzung ist die praktische Beschäftigung mit dem Thema wichtig.
Statt mit viel Energie gegen die Windmühlenflügel von Monsanto & Co. anzustürmen, wollen wir uns praktisch um den Anbau und den Erhalt von alten Gemüsesorten kümmern.
Um die Vielfalt zu erhalten und sich die Essgewohnheiten nicht von den Konzernen diktieren zu lassen, werden immer mehr BürgerInnen selbst aktiv. Sie beginnen im Haus- oder Gemüsegarten ihre eigenen Gemüsesorten anzubauen, sie vermehren nicht kommerziell angebaute Gemüsesorten und erhalten regional spezifische, an Land und Klima angepasste Sorten. Durch die engagierten GärtnerInnen und Nutzpflanzeninitiativen gibt es auch heute noch eine Vielfalt an Saatgut für Gemüse- und Kräuterpflanzen. Sie wollen in möglichst vielen Gärten wieder zum Leben erweckt werden. Seien es bisher unbekannte Gemüsesorten wie Yacon, Ewiger Kohl oder Schlangenlauch, oder seltene Sorten, wie Ochsenherztomaten, Monstranzbohnen oder Teufelsohren – sie bieten frisch aus dem Garten intensiven Geschmack und gesunde Inhaltsstoffe, aber auch ganz neue Erlebnisse bei der Auseinandersetzung mit den Jahreszeiten, mit Sonne und Wind, mit Schneckenplage und saftiger Ernte.
Damit diese Arbeit aber nicht nur vereinzelt und immer wieder neu begonnen werden muss, wollen wir einen festen Ort für die bunte Welt der Gemüsevielfalt schaffen. Wir bauen einen Vermehrungsgarten, der den unglaublichen Gemüsereichtum nicht nur dokumentiert, sondern auch zeigen kann, was selbstbestimmtes Gärtnern und Essen bedeutet. Ein Ort wird entstehen, an dem Wissen gesammelt wird, und vor allem ein Ort für alle, die neugierig auf Gärtnern und selbstbestimmtes Essen jenseits der Normierung und Konzernpolitik sind.
Die Initiative "Ein Vermehrungsgarten für Hannover" hat einen Standort gesucht - in der Stadt, erreichbar für Viele, mit für den Gemüseanbau geeignetem Gartenboden - der langfristig zu bekommen ist. Wir haben das Grundstück gefunden und bekommen. Der Vermehrungsgarten für Hannover entsteht in Hannover-Ricklingen, zehn Minuten zu Fuß von der Straßenbahnhaltestelle „Beekestraße“ entfernt.
Vermehrung von Gemüse ist eine erhaltenswerte Kultur
Genau wie Kochen und die Fähigkeit, ein Instrument zu spielen, ist die Vermehrung von Nutzpflanzen eine Kultur, die es zu erhalten und zu fördern gilt. In Zeiten von Globalisierung und regelmäßiger Versorgung mit fast allen Gemüsearten in den Supermärkten sind die Kenntnisse vom Gemüseanbau in der Bevölkerung zurückgegangen. Saatgut ist Kulturgut, über viele Jahre entwickelt – heute besteht die Gefahr, dass Wissen und Sorten weiter verloren gehen. Der Vermehrungsgarten ist ein Ort, diese Kulturtechniken zu erlernen. Es wird regelmäßige Führungen geben, wie auch Mitarbeits- und Lernmöglichkeiten im praktischen Bereich. Die Zusammenarbeit mit Bildungsträgern und Kulturbehörden wird deshalb angestrebt, damit die Bildungs- und Kulturarbeit gefördert werden kann.
Bevor wir richtig mit der Vermehrungsarbeit starten, muss die im Frühjahr 2014 übernommene Brache in einen Gemüsegarten verwandelt werden. Die Stadt Hannover unterstützt die Initiative durch die Zurverfügungstellung des Grundstückes und eine finanzielle Unterstützung beim Aufbau des Gartens. Die Niedersächsische Bingo-Umweltstiftung hat im letzten Jahr ebenfalls den Aufbau unterstützt. Der im Frühjahr 2014 begonnene Aufbau setzt sich in 2015 mit der Unterstützung von vielen BürgerInnen Hannovers fort - vielleicht ja auch mit Ihnen, mit dir?